Laryngo-Rhino-Otol 2018; 97: S1-S9
DOI: 10.1055/s-0043-121595
Das Innenohr und die Hörbahn mit ihren vergleichsweise geringen Zellzahlen haben sich einigen molekularen Ansätzen bislang beharrlich entzogen. Gleichzeitig vollbringt das Hören Spitzenleistungen, die sehr spezialisierte biologische Mechanismen nahelegen. Dies bedeutet einerseits, dass Analogieschlüsse zur molekularen Anatomie und Physiologie der Zellen des Hörsystems auf der Grundlage von Erkenntnissen aus molekular besser zugänglichen Systemen von beschränktem Nutzen sind. Andererseits legt eine solche Spezialisierung Gendefekte nahe, die von der Evolution toleriert wurden, weil sie nicht zur Fehlfunktion von essentiellen Körperprozessen führen. Technologische Fortschritte in der Humangenetik und der molekularen Analyse des Innenohrs im Tier bestätigen beide Annahmen und beleuchten den faszinierenden Mikrokosmos der Cochlea. Auf kleinstem Raum werden hier in konsequenter Arbeitsteilung herausragende Leistungen im Ionentransport, der Mechanotransduktion, der aktiven Zellmotilität und der synaptischen Verarbeitung erbracht. Einige der zugrundeliegenden molekularen Maschinen, z. B. das Motorprotein Prestin und das an synaptischer Fusion beteiligte Otoferlin, sind ausschließlich im Ohr aktiv. Dementsprechend führen ihre Defekte zu spezifischen nicht-syndromalen Schwerhörigkeiten, wie etwa bei der auditorischen Synaptopathie durch autosomal rezessive Mutationen im Otoferlin-Gen. Andere Mutationen, wie die den cochleären Kalium-Zyklus betreffenden, bedingen einen globalen Funktionsverlust der Cochlea. Viele genetische Defekte führen schließlich zur Degeneration des Innenohrs. Letztlich führt die molekulare Analyse sowohl beim Menschen, als auch im Tier-Innenohr aber auch zu neuen Erkenntnissen für häufige Formen der Schwerhörigkeit. So wurde der immunhistochemische Nachweis des Verlusts von Bandsynapsen der inneren Haarzellen zum Biomarker für „hidden hearing loss" im Tiermodell. Die moderne Hochdurchsatz-Sequenzierung (sog. Next Generation Sequencing – NGS) bietet Zugang zu bislang nicht bekannten Taubheitsgenen, Mutationsspektren von bekannten Taubheitsgenen und zu einem genetischen Profil der individuellen Schwerhörigkeit, ihre Interpretation erfordert jedoch große humangenetische Expertise und umfangreiche tierexperimentelle Einsichten. Eine kausale Therapie etwa durch viralen Genersatz, der im Tier-Innenohr und bei einzelnen Formen der humanen Blindheit bereits erfolgreich ist, steht für die Schwerhörigkeit in der Klinik noch nicht zur Verfügung. Bereits jetzt ermöglichen molekulare Ansätze aber schon eine verbesserte Beratung von schwerhörigen Patienten.
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